Stadtverordnetenversammlung am 23.01.2023

Auf der TO1 (mit Aussprache) standen zwei Anträge der Linksfraktion (Sozialwohnungsquote erhöhen / Resolution zur Solidarität mit Rojava), einer der SPD (Reuter-Schule) und ein oft verschobener von der grün-schwarz-gelben Koalition (Verkehrsversuche). Der städtebauliche Vertrag mit der GWG zum Wohnungsbau im „Lossegrund“ (Bettenhausen) wurde von Dezernent Nolda von der TO genommen, weil der dazugehörige Bebauungsplan gleichzeitig beschlossen werden soll.

Unseren Antrag für eine Ferienwonungssatzung haben wir zurück gezogen, weil das Land Hessen der Stadt Kassel seit 2020 keinen „angespannten Wohnungsmarkt“ mehr attestiert. Damit entfällt leider die rechtliche Grundlage für diese kleine Möglichkeit, leer stehende Wohnungen für dauerhafte Vermietung zu gewinnen.

Doch nun der Reihe nach:

1) „Sozialwohnungsquote erhöhen“ (Antrag der LINKEN / TOP 8)
Die Linksfraktion hat schon 2016 beantragt, eine Sozialwohnungsquote in Höhe von 30% einzuführen (ab 4 Wohneinheiten) – das haben alle anderen Fraktionen damals abgelehnt. 2019 hat die StaVo-Mehrheit dann erst 25 % Sozialwohnungsquote ab 12 Wohneinheiten und Ende 2020 dann erhöht auf 30% ab 6 WE. Aber das war zu spät und es reicht nicht mehr.

Violetta hat unseren Antrag überzeugend begründet. Er wurde dennoch von allen anderen Fraktionen abgelehnt.

In unserer Stadt sind fast 20 Prozent der Bewohner*innen von Armut betroffen, 1.000 Menschen sind Obdachlos und weil so viele Beschäftigte zu wenig verdienen, haben sehr viele Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Aber es gibt viel zu wenig Sozialwohnungen. 18:500 Wohnungen sind seit 1990 aus der Sozialbindung gefallen und im Jahr 2020 gab es 5800 preisgebundene Wohnungen. Bis zum Jahr 2030 läuft bei 1200 die Bindung aus. Jamaika schreibt im Koalitionsvertrag, sie wollen bis zum Ende der Wahlperiode 3.000 neue Wohnungen und 1.000 neue Sozialwohnungen. Das würde nicht einmal den Statut quo sichern. Und jetzt stockt der Wohnungsbau, weil die Bau-und Grundstückspreise so hoch sind. Deshalb fordern wir, dass bei den wenigen Neubauprojekten der Anteil der geförderten Sozialwohnungen deutlich erhöht wird – auf 70%. Gerade weil sich Wohnprojekte verzögern, müssen wir sicher stellen dass mindestens die Wohnungen gebaut werden die wir für Versorgung brauchen. Und aus Klimaschutzgründen sind immer mehr Neubauprojekte unverantwortlich. Bauvorhaben sind so zu gestalten, dass sie dem Allgemeinwohl dienen.

Außerdem soll ein Viertel der Sozialwohnungen für vulnerable Personengruppen vorbehalten sein, bei denen die Stadt ein Mitsprachrecht bei der Vergabe hat. Es ist notwendig einen Pool von Wohnungen zu haben, damit Menschen in besonders schwierigen Lebenslagen versorgt werden können. Für das Frauenhaus, für Alleinerziehende in Not, Menschen mit Behinderung, für das Projekt „Housing First“ oder für große Familien.

Die Gegenredner*innen von Grünen, CDU, SPD und FDP mussten alle anerkennen, dass unsere Problembeschreibung zutrifft …. aber unser Baustein zur Behebung sei nicht geeignet. Allerdings gab es keinerlei Alternativvorschläge.
Die SPD fragt nach dem Konzept des Baudezerneten, die CDU will „natürlich“ nicht noch mehr Sozialwohnungen. Die Grünen befürchten „Ghettobildung“ wenn so viele Leute mit wenig Geld zusammen wohnen und behaupten, wir wollten mit einem Instrument alle Probleme lösen.

Aber nein: Es war die Linksfraktion, die den Antrag auf ein Leerstandskataster eingebracht hat, damit wir wenigstens wissen, wo Wohnungen oder Gewerberäume ungenutzt sind. Und wir hatten 2021 für den Haushalt beantragt, dass ein Projekt zur besseren Verteilung von Wohnraum auf den Weg gebracht wird, weil alte Menschen nicht selten in zu groß gewordenen Häusern leben. Und die Furcht der Grünen vor Ghettos ist entlarvend – als ob Menschen mit Niedriglöhnen oder Minirenten, Alleinerziehende oder Erwerbsgeminderte „Problemfälle“ für Nachbarschaften wären. Dabei ist das Ghetto in Wirklichkeit dort, wo sich Leute mit durchschnittlichen Einkommen sowieso keine Wohnung leisten können.

 

2) „Aufnahme der Paul-Julius von-Reuter-Schule in das Finanzierungsprogramm der GWGPro“ (Antrag der SPD / TOP 9)

Linke fordert die schnellere Sanierung der Reuterschule – allerdings in Eigenregie der Stadt Kassel.

Das Gebäude der Paul-Julius-von-Reuter-Schule ist seit nahezu fünf Jahren teilweise wegen Einsturzgefahr gesperrt, die noch genutzten Gebäudetrakte sind ebenfalls stark sanierungsbedürftig. Wie im November letzten Jahres bekannt wurde, wird sich die Sanierung bzw. der Neubau einzelner Gebäudeteile weiter verzögern und mit der Fertigstellung des neuen Schulgebäudes ist nicht vor 2029 zu rechnen.
Allerdings: Die GWGpro bearbeitet inzwischen zwölf Sanierungs- bzw. Neubauprojekte und die Vorstellung, dass die Sanierung der Reuterschule durch die Auslagerung in diese Gesellschaft beschleunigt werden könne, halten wir für eine Illusion. Eher würde dieses komplexe Vorhaben schon wegen der begrenzten Kapazitäten der GWGpro in der Bauplanung noch weiter nach hinten rutschen. Hinzu kommt aus Sicht der Linken, dass sich unsere Vorbehalte gegenüber dem von OB Geselle 2019 initiierten verschachtelten Modell, bei dem die Sanierung städtischer Gebäude von der GWGpro übernommen wird und diese in das Eigentum einer Stadt Kassel Immobilien GmbH und Ko KG übergehen, in weiten Teilen bestätigt haben. Was am Ende an Kostenmieten von der Stadt Kassel über Jahrzehnte zu bezahlen ist, darüber besteht keinerlei Transparenz und auch nicht darüber, wie eigentlich langfristig mit den städtischen Gebäuden umgegangen wird, die im Rahmen dieses Konstrukts an eine privatrechtlich organisierte GmbH ausgegliedert werden. Den SPD-Antrag lehnen wir deshalb ab.

Die Linksfraktion wirbt für einen Antrag, mit dem der Magistrat beauftragt wird, die geplante Sanierung der Reuterschule vorzuziehen und dafür Haushaltsmittel und personelle Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. In jedem Fall steht die Stadt in der Verantwortung, den rund 1.700 Schülerinnen und Schülern der Paul-Julius-von-Reuter-Schule gute Lernbedingungen zur Verfügung zu stellen und sie nicht weitere sechs Jahre in dieser desolaten Situation zu lassen.

 

3) „Verkehrsversuche für Kassel“
(mehrfach verschobener Antrag der Grüne-CDU-FDP-Koalition / TOP 10)

Die so genannte Koalition der Vernunft will auf einigen Hauptverkehrsstraßen Fahrradwege „ausprobieren“ – allerdings sollen zuvor erst Simulationen und Berechnungen angestellt werden. Und an Nebenstrecken solle es probeweise Fahrradzonen geben (Wehlheiden und Wahlershausen) und Modalfilter an an vier Stellen.

Fragen, wie lange die Verkehrsversuche dauern sollen, wie groß die Fahrradzonen sein sollen und vor allem, wie es dann weiter geht, wurden leider nicht beantwortet. Statt dessen nutzte Herr Schöller die Debatte um sich als Gegenspieler von Herrn Geselle als OB darzustellen.

Wir haben dafür plädiert, wenigstens die sicheren Radwege an Hauptstraßen gleich dauerhaft anzulegen. So wie es im StaVo-Beschluss zur Förderung des Radverkehrs in Kassel vorgesehen ist. Unter dem Druck des Radentscheids Kassel der von über 22.000 Bürger*innen unterstützt wurde, wurde dies im September 2019 mit großer Mehrheit aus Grünen, SPD, CDU, FDP und Linken beschlossen. Darin steht u.a. „Netzlücken im Haupt- und Nebennetz des Radverkehrs sind zu schließen“. Außerdem war sich die StaVo (bis auf die AfD) einig, dass für die „Gewährleistung einer stadtgerechten Mobilität in Kassel“ ….“der Kfz-Anteil insbesondere bei innerstädtischen Fahrten kurzer Wegstrecken spürbar gesenkt werden muss.“

Als Linksfraktion haben wir genau auf dieses Ziel hin einen Änderungsantrag gestellt, der die Liste der Verkehrsversuche um einen wesentlichen erweitern sollte: Wir wollen die Sondernutzungszone im Innenstadtbereich erheblich ausweiten auf den Bereich zwischen Fünffensterstraße, Rudolf-schwander-Straße, Kurt-Schuhmacher-Straße und Steinweg. Das würde innerstädtischen Verkehr reduzieren, weil die Leute nicht mehr mit dem Auto in die Kern-Innenstadt fahren. Die ÖPNV-Anbindung ist ja sehr gut. Perspektivisch werden dann Parkhäuser und Parkplätze frei, die anderweitig genutzt werden können. Vor allem für Bäume und Grünflächen, aber auch für (Jugend-)Kultur. Leider gab es keine Unterstützung aus den anderen Fraktionen.

Wir haben dem Koalitions-Antrag dennoch zugestimmt, weil die Verkehrsversuche immerhin in die richtige Richtung gehen.

 

4) „Resolution zur Solidarität mit Rojava“ (Antrag der LINKEN / TOP 11)

Rojava ist ein autonomes Gebiet in Nord-, Ostsyrien. Hier leben Menschen vieler verschiedener Ethnien und Religionen in demokratischen Strukturen zusammen – nach ökologischen, demokratischen und feministischen Standard. Hier finden viele Verfolgte Zuflucht in einer (noch) relativ sicheren Region. Es waren und sind die kurdischen Selbstverteidungungskräfte YPG und YPJ, die sich den Kriegern des Islamischen Staates (IS) entgegenstellen und seit 2014 viele Jesid*innen vor dem Genozid gerettet haben. 10.000 kurdische Freiheitskämpfer*innen verloren in den letzten Jahren bei diesem Kampf ihr Leben.

Im November 2022 bombardierte die Türkei verstärkt mit Kampfjets die nordostsyrischen Autonomiegebiete und greift seitdem immer weiter an – vor allem mit Kampfdrohnen. Der türkische Präsident Erdogan will die Kurd*innen vertreiben und die Gebiete der demokratischen Autonomie neu besiedeln. Auch hier vor Ort in Kassel sind regierungskritische türkische und kurdische Mitbürger*innen von der Gewalt des türkischen Regimes bedroht. Erst am 15 Januar rief ein hochrangiger AKP Politiker während seiner Wahlkampftour in Deutschland dazu auf alle hier lebenden Kurd*innen zu verfolgen und zu vernichten. Es geht also auch hier vor Ort um Solidarität. Unsere Resolution wäre ein starkes Zeichen dafür.

Leider haben sowohl die Sozialdemokrat*innen beider Flügel, als auch die komplette Fraktion der Grünen geschwiegen und das Feld der parlamentarischen Debatte zu diesem Thema gänzlich der AfD und Herrn von Rüden von der CDU überlassen. Letzterer sprach von irgendeiner „kommunistischen Zeitung“, warf uns „antiwestliche Ressentiments“ vor und behauptete dass solche Resolutionen nichts in der StaVo verloren hätten. Dabei hatte auch Herr von Rüden für die CDU erst im November 2022 die Resolution zur Unterstützung der demokratisch-feministischen Bewegung im Iran mitgetragen, die auf unsere Anregung hin von der StaVo beschlossen wurde.

Aus der Kasseler Grünenfraktion hat selbst auf unsere direkte Bitte keine*r einen Piep gesagt – ein echtes Armutszeugnis. Obwohl die Partei 2019 Solidarität mit Rojava beschlossen hat.In Frankfurt hat die Grüne Kommunalfraktion sogar selbst eine Solidaritätsresolution eingebracht – gestützt auf den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages, der die Bombenangriffe der Türkei auf die kurdischen Gebiete in Syrien als völkerrechtswidrigen Krieg einstuft. Und auch in Marburg wurde eine solche Resolution beschlossen.