Stadtverordnetenversammlung am 27.3.23

Wie war die Stavo am Tag Eins nach der OB-Wahl in Kassel?
Gibt es nun gestärkt durch einen grünen Oberbürgermeister konkrete Zeichen der koalitionären Vernunft im Hinblick auf konsequente Klimaschutzmaßnahmen?

Und ist die Koalition mit ihrem „OB für Alle“ bereit, die kommunale Verantwortung für eine gute Versorgung aller Menschen in dieser Stadt zu übernehmen? Dies hätte die Koalition in der Aussprache zum „Bebauungsplan Nordshausen Nord“ und den beiden von der Linksfraktion eingebrachten Anträgen „Seniorenhaus am Lindenberg sichern“ und „Solidarität mit den Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes“ unter Beweis stellen können. Zu diesen Punkten und zur Forderung einer „Berichtspflicht der GWG pro“ gab es von allen linken Fraktionär:innen sehr kluge und engagierte Redebeiträge, die Atmosphäre im Saal war lebendig bis sehr gereizt mit lauten Zwischenrufen und unsere plenar-erfahrene ehemalige MdB, Sabine Leidig, brachte die Stimmung auf den Punkt: „Ich hab mich so aufgeregt“. Die beiden o.g. Anträge der Linksfraktion wurden abgelehnt und dem Bebauungsplan Nordshausen hat die Stadtverordnetenversammlung mehrheitlich zugestimmt.

Aber nun ausführlicher:
TO 5. „Bebauungsplan der Stadt Kassel Nr. Vlll/14 „Nordhausen Nord“ (geänderter Aufstellungs- und Offenlegungsbeschluss)“, Vorlage des Magistrats
Bei diesem Gebiet am nördlichen Rand von Nordhausen und der Dönche handelt es sich um ca. 21,2 ha Fläche, für die bereits am 07.02.2011 in der Stavo ein „Rahmenplan örtlicher Ortsrand Nordshausen“ beschlossen wurde. Laut Vorlage sollen mehr als 200 neue Wohnungen mit folgender Begründung entstehen: “Vor allem junge Familien streben dabei aus dem Stadtkern heraus in die städtischen Randlagen. Zusätzlich zu den umfangreichen Aktivitäten der Stadt zur Mobilisierung innerstädtischer Flächen ist die Flächenentwicklung in Nordshausen zur Bedarfsdeckung erforderlich.“ Aber muss diesem Streben ohne eigene konsequente stadtplanerische Vorstellung nachgegangen werden, so wie unser Stadtbaurat es immer darstellt – wir denken: Nein! Sabine beantragt aufgrund der Klimakatastrophe, die sich seit 2011 noch deutlich verschärft hat, den Punkt zurückzustellen, bis der Bericht zu den Auswirkungen der Klimakrise vorliegt. Sie verweist auf den Stavo-Beschluss von 2019, bis 2030 klimaneutral zu werden und fordert, jede Maßnahme genau zu überprüfen, um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen. „Es kann nicht mehr jeder Bedarf erfüllt werden“. Sie appelliert an die Kosten, verfehlte C0-2-Einsparpotentiale, finanzielle Belastungen im Haushalt und verweist auf vorhandene Gebäude im Bestand, die jedes Jahr die Besitzer wechseln; letztes Jahr waren es 400 verkaufte Wohngebäude. Mario Lang von der SPD verteidigt den Entwurf als wichtige Maßnahme zur Wohnraumbeschaffung. Der Entwurf sei über Jahre gewachsen und nun abstimmungsreif. Allerdings sagt er auch: “Ich gebe zu, dass wir den heute anders wünschen würden“. Aus diesem Zugeständnis erwächst jedoch keine Handlung … Von den Grünen kommt die verschwurbelte Erkenntnis, dass es nicht leicht sei, Wohnraum versus Klimaschutz abzuwägen. Oh ha! Dann der Hinweis auf die Solardachpflicht und dass es doch ein hübsch verdichtetes Wohnen mit fast 35 Wohneinheiten auf einem Hektar sei?? und dem Wohnraumversorgungskonzept doch entsprechen würde. Die Grünen sind sich echt für nichts zu schade, so ein bullshit! Das dachte wohl auch Violetta, die kämpferisch darauf hinwies, dass diese Planung im Sinne des Wohnraumversorgungskonzeptes weder für Alleinerziehende noch für Menschen mit geringem Einkommen die Wohnungsnot löst. Recht erheiternd war der Beitrag von der AFD, die ihre Liebe zum Umweltschutz entdeckt hat und Pferdekoppeln, Frischluftschneise und das Dorf in der Stadt erhalten möchte.
Letztendlich also wurde „unter Abwägung aller Belange von Klimaschutz“ bei 7 Neinstimmen und 3 Enthaltungen die Magistratsvorlage angenommen.

TO 10 „Regelmäßiger Bericht von GWGpro und Immobilien KG“, Antrag der Koalition
„Der Magistrat wird gebeten, jeweils eine Vertretung der GWG Projektgesellschaft GmbH (GWGpro) sowie der Stadt Kassel Immobilien GmbH & Co. KG bis zu viermal im Jahr in den Ausschuss für Stadtentwicklung, Mobilität und Verkehr einzuladen, um über folgendes zu berichten: …“ Es soll über den Planungs- und Umsetzungsstand, die prognostizierten Kosten, den Finanzierungshintergrund und Risiken, Personalstruktur und sonstige Tätigkeitsfelder zu „wesentlichen Entscheidungen“ berichtet werden. Und es soll über weitere Projekte der Kooperationen erst nach dem ersten umfangreichen Bericht über das Projekt „Kita Nordshausen“ entschieden werden. Dieser Antrag der Koalition wurde bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
In den Redebeiträgen für den Antrag bemängelte Lucian Hanschke (Grüne) die fehlende Transparenz, die CDU möchte ihre Kontrollfunktion ausüben können (Norbert Wett) und die FDP (Sascha Bickel) möchte mehr Informationen – Die SPD stellt einen Änderungsantrag, der den letzten Absatz (Entscheidung für neue Projekte vom Bericht abhängig machen) nicht mehr enthält. Man solle doch der GWGpro gegenüber nicht so misstrauisch sein – das sagt unter belehrenden Paragraphenzitaten niemand anderes als unser Ex-Genosse Mirko Düsterdieck, ehemals schärfster Kritiker der städtischen Tochtergesellschaften 😉 Der Änderungsantrag der SPD wurde mehrheitlich abgelehnt.
Für unsere Fraktion spricht Lutz Getzschmann und weist mit sehr klaren Worten darauf hin, dass die Linksfraktion seit Beginn der städtischen Tochtergesellschaftskonstruktionen den Verlust parlamentarischer Kontrollmöglichkeiten kritisiert. Auszug Rede: „Vor knapp 4 Jahren habe ich an dieser Stelle zu dem vom OB vorgestellten GWG-Pro-Konstrukt kritisch angemerkt: … dass die wirtschaftliche Übertragung der Schulgebäude erfahrungsgemäß mit der Aufgabe parlamentarischer Kontrollmöglichkeiten verbunden ist. Bei diesem Konstrukt ist letztlich auch die kommunale Steuerung der springende Punkt. (…) Bisherige Praxis des Magistrats ist immer wieder die Verweigerung von Antworten auf Fragen zu städtischen Gesellschaftsbeteiligungen. Dass dies bei dem hier geplanten Vorhaben anders sein wird, wurde uns zwar zugesagt, aber erst die Realität wird es zeigen.“ Die komplette Rede ist hier zu finden:

Bei allem Verständnis für kleine Korrekturen politischer Entscheidungen und die Freude über etwas mehr Demokratie fragen wir uns doch, woher und warum diese späte Einsicht. Es ist zu vermuten, dass der Wind von regionalen Unternehmern und Architekten (BDA) kommt, die wegen der komplexen Projektentwicklung der GWGpro fürchten, keine Aufträge mehr zu erhalten. Die Projekte werden als Generalplanungsaufgabe von der GWGpro vergeben und die Zulassungskriterien schließen den größten Teil der lokal ansässigen Architekturbüros aus, da sie als kleine und mittelständische Büros nicht zum Zug kommen (war auch Thema bei der OB-Podiumsdiskussion des BDA im Hallenbad Ost). Das spricht nicht gegen den Antrag, aber ist zur Einordnung vielleicht wichtig …

 

TO 11 „Seniorenhaus am Lindenberg sichern“, Antrag der Linksfraktion

„Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen: Die Stadtverordnetenversammlung fordert den Magistrat auf, Schritte für eine mögliche Rekommunalisierung des Seniorenhauses am Lindenberg in die Wege zu leiten. Im nächsten Finanzausschuss soll vorgestellt werden, welche Optionen bereits geprüft wurden und welche Schritte notwendig sind.“
Begründung: „Das Seniorenhaus am Lindenberg versorgt 90 Bewohner:innen und hat ca. 120 Beschäftigte. Vor zwei Jahren wurde es als letzte kommunale Pflegeeinrichtung von der GNH an Convivo verkauft. Versprochen waren die Sicherung der Pflege, der Arbeitsbedingungen und der Erhalt des Standorts. Seit der vorläufigen Insolvenz von Convivo sind Beschäftigte und Bewohner:innen verunsichert. Für die Stadt Kassel muss klar sein, dass die Pflege dort in einem voll belegten Seniorenhaus fortgeführt werden muss. Ein Weiterverkauf an den nächsten privaten Investor bietet nicht ausreichend Sicherheit. Die Stadt Kassel steht daher nun in der Verantwortung, den Rückkauf durch die GNH oder direkt durch die Stadt vorzubereiten.“
Dieser Antrag der Linksfraktion wurde nach einer hitzigen Debatte bei Enthaltungen der AFD und Herrn Klobuzinski abgelehnt.
Violetta begründet den Antrag und bringt es auf den Punkt: „Im Januar hat Convivo Insolvenz angemeldet. Das hat wieder mal gezeigt: Der Markt regelt es nicht!“ Sie verweist auf die Aktionen des Betriebsrats und fordert konkretes verantwortliches Handeln der Kommune: „Betroffenheit mimen bringt nicht weiter, es muss Verantwortung übernommen werden. Es ist an Ihnen, den Menschen eine Perspektive zu geben, die Sie der Privatisierung vor die Füße geworfen haben“. Diese klaren Worte erfreuen nicht viele und es gibt erstmal den Hinweis auf das laufende Insolvenzverfahren, das keine direkte Einflussnahme ermöglichen würde. Die SPD betont, dass der Träger doch alle städtischen Rahmenbedingungen erfüllt hätte, alles gut überlegt schien und es gute Übernahmekonditionen gegeben hätte. Dann als ein Höhepunkt der Debatte stellt Dorothe Köpp (Grüne) der Stadt ein Armutszeugnis aus, indem sie betont, die Stadt könne keine Institution (Altersheim) führen, „das können Private und freie Träger viel besser. Von diesem Geschäfts- und Betätigungsfeld hat sich die Stadt Kassel schon verabschiedet“. So viel Neoliberalismus ist für Esther Kalveram (SPD) schwer auszuhalten und sie plädiert in oppositioneller Frische vehement gegen die Privatisierung des Gesundheitssystems. Konkrete Vorschläge hat sie nicht, aber sie möchte die Rahmenbedingungen in Land und Bund ändern, damit jetzt in Kassel das Seniorenheim gerettet werden kann 😉 Richtig wild wird es am Ende, als es um die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Insolvenzverwalter geht – das traut die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel nicht zu … Der Appell unserer Fraktionsvorsitzenden Sabine Leidig „wenn andere mit Convivo verhandeln können, können wir das auch“ geht fast unter in lauten Zwischenrufen und Belehrungsversuchen der üblichen Verdächtigen.

TO 12 „Solidarität mit den Beschäftigten im öffentlichen Dienst – für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und gute Personalausstattung“, Antrag der Linksfraktion
Zum Antrag
Der Antrag der Linksfraktion wird mehrheitlich abgelehnt.
Unsere Fraktionärin Miriam Hagelstein trägt den Antrag sehr engagiert vor und erntet die üblichen Reaktionen – Wolfgang Decker (SPD) betont „das wichtige Thema Arbeit und Tarif“ und verweist auf die Tarifautonomie, Dorothe Köpp (Grüne) lehnt „wie 2022 bei den Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst“ eine Einmischung in Tarifverhandlungen ab und die FDP ist herrlich ehrlich und befürchtet „abschreckende Wirkung auf Kassels Arbeitgeber“. Annette Knieling (CDU) bemerkt betont gelangweilt, aber dafür sehr ausführlich, sie wolle ja nicht zynisch sein, aber diese ständigen immer gleichen Anträge seien doch nicht mehr ernst zu nehmen. Ernst nimmt aber Miriam das Unverständnis und die erklärte Nicht-Zuständigkeit der Stadtverordneten und gibt eine kleine Nachhilfe zur Mitgliedschaft der Stadt Kassel und deren Handlungsmöglichkeiten im „Verband kommunaler Arbeitgeber“. Gute Performance 😉

 

Weitere Redebeiträge:

Jenny Schirmer begrüßt in ihrem Redebeitrag für die Fraktion den Antrag zur Erstellung eines kommunalen Hitzeaktionsplanes. Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf Menschen im Transferleistungsbezug, die nochmal stärker von den weiter voranschreitenden Folgen des Klimawandels betroffen sind.

Sabine Leidig stellt die Widersprüche des von der Fraktion unterstützten Antrags der Rathauskoalition zur Erstellung eines kommunalen Hitzeaktionsplans zu den in der Vergangenheit mit Stimmen der Rathauskoalition verhinderten Beschlüssen zur Klimawende wie bspw. die Einschränkung des Autoverkehrs in der Innenstadt dar.