Verzicht auf einen Strafantrag bei Fahren ohne gültigen Fahrschein

Der Magistrat wird gebeten, ihrer städtischen Beteiligungsgesellschaft KVG über den KVV Konzern die gesellschaftsrechtliche Weisung zu erteilen, auf die Stellung eines Strafantrags bei Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs ohne gültigen Fahrschein zu verzichten. Die Regelungen zum erhöhten Beförderungsentgelt beim Fahren ohne gültigen Fahrschein bleiben hiervon unberührt.

Begründung:

Für Nutzung von Bus und Bahn ohne gültigen Fahrschein wird ein erhöhtes Beförderungsentgelt erhoben. Darüber hinaus ist das Erschleichen von Beförderungsleistungen gemäß § 265a StGB eine Straftat. Allerdings wird diese Straftat bei Geringwertigkeit gemäß §248a StGB nur auf Antrag verfolgt. Die Grenze der Geringwertigkeit liegt bei 25 bis 50 Euro. Eine Fahrt ohne Fahrschein mit Bus oder Bahn im Kasseler Stadtgebiet wird also wohl immer darunter liegen.

Folglich ist nach § 265a Abs. 3 i.V.m. § 248a StGB zur Strafverfolgung in der Regel ein Antrag erforderlich. Die Verhängung von Strafen für Fahren ohne Fahrschein führt häufig zu Ersatzfreiheitsstrafen anstelle von Geldstrafen, da insbesondere ärmere Menschen armutsbedingt häufiger das entsprechende Delikt begehen und die verhängten Geldstrafen nicht zahlen können. Gemessen am angerichteten Schaden ist dies eine unverhältnismäßig schwere Bestrafung, die darüber hinaus für den Staat eine teure Form der Strafe darstellt. Gleichzeitig belasten die Vielzahl an Verfahren die Gerichte und Staatsanwaltschaften. Gemäß Hessischem Justizminister Roman Poseck (CDU) binde die strafrechtliche Verfolgung von Fahren ohne Fahrschein „erhebliche und eben möglicherweise auch unverhältnismäßige Ressourcen“.

Neben rechtstheoretischen Argumenten wird so vornehmlich die Entlastung der Justiz als positiver Effekt angeführt. Es gibt eine breite Debatte über die Sinnhaftigkeit des Status  als Straftat. Bundesjustizminister Buschmann (FDP) hat für 2023 eine Prüfung der Herabstufung zu einer Ordnungswidrigkeit angekündigt.

Die polizeiliche Kriminalstatistik führt für Kassel im Jahr 2022 573 Beförderungserschleichungen (2021, 477).

Von der Staatsanwaltschaft Kassel sind hierzu folgende Zahlen laut Anfrage durch die Linksfraktion Kassel bekannt:
2022 sind in Kassel 659 Verfahren wegen des Tatbestands des Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) erfasst worden, die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass es sich hierbei – von wenigen Ausnahmen abgesehen – um Beförderungserschleichungen handelt. Von den 659 anhängigen Verfahren wegen § 265a StGB sind 38 Verfahren angeklagt und weitere 69 Verfahren per Antrag auf Erlass eines Strafbefehls erledigt worden, die große Masse der Verfahren wurde bereits im Ermittlungsverfahren entweder eingestellt oder an eine andere Staatsanwaltschaft aus Zuständigkeitsgründen abgegeben.

Im Jahr 2021 ergibt sich ein ähnliches Bild; es sind hier 695 Verfahren wegen § 265a StGB registriert, davon wurde in 71 Verfahren Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt, in 52 Verfahren Anklage erhoben.

Im Jahr 2020 sind von insgesamt 828 Verfahren wegen Erschleichung von Leistungen (§ 265a StGB), in 83 Verfahren Anklage erhoben und in 115 Verfahren Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt worden.

Zahlen in wie vielen Fällen es konkret zu einer Ersatzfreiheitsstrafe kam, werden von der Staatsanwaltschaft nicht erfasst.

Das erhöhte Beförderungsentgelt soll erhalten bleiben, die zivilrechtlichen Ansprüche der geschädigten Beförderungsunternehmen reichen zur Sanktionierung aus.

Auch die Regierungskoalition der Stadt Wiesbaden unter Beteiligung der Linken entschied kürzlich, dass es für Fahren ohne Fahrschein keine Strafverfahren mehr geben soll und sprach eine dementsprechende Weisung in Richtung des kommunalen Verkehrsbetriebes aus.

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